Kochen mit Rücksicht auf die Umwelt

Mit der Natur im Einklang

In der Küche von Marco Ortolani geht es um die Reinheit des Geschmacks, gepaart mit nachhaltig ethischem Denken.
Der Executive Chef des La Réserve Eden au Lac Zurich nimmt uns mit in das wildromantische Poschiavo in Graubünden, um einen seiner Produzenten zu treffen.

Im Rhythmus der Natur
Marco Ortolani liebt die einfache und ehrliche Küche. Der Italiener besinnt sich auf regionale Produkte und kocht im Einklang mit der Natur. «Die Natur hat ihren ganz eigenen Rhythmus.
Und es liegt an uns, sich ihr anzupassen und flexibel auf das zu reagieren, was Sie uns schenkt», sagt er.
Auch nach Jahren in der weiten Welt, in denen er von Hong Kong bis Argentinien gekocht hat, geht es Ortolani um die Reinheit des Geschmacks und die Verarbeitung von lokalen und saisonalen Produkten.
Und das ist gut so, denn nur so bleibt das Savoir-faire der Handwerkskunst einer Region lebendig.

Marco Ortolanis lokale und saisonale Küche im Restaurant Eden Kitchen & Bar
Zum Zeitpunkt unserer Reise ist Wildsaison, doch auf der Karte des Restaurants Eden Kitchen & Bar, wo der 2022 mit einem Michelin Stern dekorierte Chefkoch wirkt, steht kein Wildgericht.
Er empfiehlt seinen Gästen die Wildspezialitäten lieber mündlich, weil er das Angebot aus Nachhaltigkeits-Gründen beschränkt und nicht alles jederzeit verfügbar ist.
«Ich bevorzuge lieber nichts ins Menü zu schreiben und dafür die Flexibilität zu haben, das anzubieten, was mein Lieferant gerade frisch im Sortiment hat», sagt der Chef.
Nachhaltigkeit ist für Ortolani weniger eine modisch ökologische Definition, sondern sie ergibt sich aus dem Rhythmus der Natur, dem er folgt, um ihr Gleichgewicht zu schützen.
Im Falle des Wilds entnimmt er für die Küche nur das, was die Jäger in freier Wildbahn erlegen dürfen, um den Wildbestand ausgeglichen zu halten.
Hierfür arbeitet er eng mit seinem Lieferanten Gian Luca Zanetti zusammen, der in Poschiavo in vierter Generation die Macelleria Zanetti führt.

Macelleria Zanetti – Handwerk seit 1869
Seit über 150 Jahren schlachtet der Puschlaver Familienbetrieb Tiere von Bauernhöfen aus der Region. Die Metzgerei zählt ein Dutzend Mitarbeiter.
Von einer industriellen Verarbeitung ist man weit entfernt. «Wir sind ein Handwerksbetrieb und unsere Produkte, wie die preisgekrönte Mortadella di Poschiavo, werden mit der Erfahrung von Generationen hergestellt», sagt Gian Luca Zanetti.
Seine Herstellungs-Philosophie trifft den Nerv der Zeit und spricht Marco Ortolani aus dem Herzen.
Alle Produkte aus der Metzgerei sind naturbelassen, ökologisch und handwerklich verarbeitet. In den Würsten, die im oberen Stock der Metzgerei bei etwa 12 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 72% luftgetrocknet werden, befinden sich keine Geschmacksverstärker und Konservierungsmittel.
Es wird nur mit regionalen Produkten und Zutaten gearbeitet. Massenware gibt es hier keine, dafür «100% Valposchiavo».
Das Label besagt, dass ein Produkt aus dem Tal stammt und dort verarbeitet wurde. Regionalen Produkten einen ganz besonderen Platz in seinem Angebot einräumen will auch Marco Ortolani und entschied sich deshalb, für die saisonalen Wildspezialitäten mit Zanetti zu arbeiten.

Ein glückliches Wild aus der freien Natur, vom Jäger respektiert
«Rothirsche, Rehe, Gämsen und Steinböcke wachsen in dieser unglaublich schönen Landschaft auf. Ihre Nahrung ist weder genmanipuliert noch mit Antibiotika angereichert. Sie ernähren sich von dem, was sie hier finden», sagt Ortolani.
«Bis zu ihrem Abschuss durch örtliche Jäger hatten sie ein glückliches, stressfreies Leben, was sich auf die Qualität des Fleisches auswirkt. Es ist zarter, schmackhafter und gesünder.»
Und dass der Jäger seine Tiere nicht liebt, ist eine Mär, die sich seit Walt Disney’s Bambi in vielen Köpfen hält. Im Gegenteil, es gehört zur Tradition, dass der Jäger dem toten Tier einen Zweig in den Mund legt – er symbolisiert den letzten Bissen -, um ihm die letzte Ehre zu erweisen.
Gian Luca Zanetti arbeitet seit Jahren mit den gleichen zehn Jägern aus Poschiavo zusammen.
Anfang September beginnt die Hochjagd, bei der vor allem Rothirsche, Rehe und Gämsen geschossen werden.
Sie dauert gut drei Wochen und wird je nach Ergebnis im November und Dezember mit einer Sonderjagd auf Hirsche und Rehe fortgesetzt. «Mit dieser Sonderjagd werden die Wildbestände wieder nach unten korrigiert und ins Gleichgewicht gebracht», sagt er.

Vom Schwanz bis zur Backe – in der Küche von Marco Ortolani wird nichts verschwendet
Dass die Metzgerei nicht allzeit jede Wildart oder jeden Cut anbieten kann, liegt in der Natur der Dinge.
Und so vertraut Marco Ortolani darauf, dass ihm Gian Luca Zanetti zum richtigen Zeitpunkt jenes Wildfleisch liefert, dass er dann zum Businesslunch als Pappardelle al Ragù di Cervo oder als Gämse aus Poschiavo mit Kürbis, Kerbelwurzel und Salsa Roberto seinen Gästen anbietet.
Zum Respekt dem Tier gegenüber gehört auch, dass Ortolani nicht nur die feinsten Stücke verarbeitet. «Wenn ein Tier erlegt wird, nutze ich jeden Teil, vom Schwanz bis zu den Backen. Mein Job ist es, alles zu verarbeiten. Das ist nachhaltig und ethisch.»

Die begehrten Wurstspezialitäten der Macelleria Zanetti

Gian Luca Zanetti und Marco Ortolani: Meister ihres Handwerks

In der Macelleria Zanetti werden seit vier Generationen Fleischspezialitäten nach alten Traditionen handwerklich hergestellt

Die Jäger im Valposchiavo arbeiten seit Generationen im Einklang mit der Natur

Der kleine Ort Poschiavo ist eine romantische Schönheit an der Kreuzung zwischen dem Engadin und dem Veltlin

Text von Sara Allerstorfer

DIESER ARTIKEL IST EIN AUSZUG AUS DER ZEITSCHRIFT LA RÉSERVE N°30 VON MICHEL REYBIER HOSPITALITY. LESEN SIE DAS MAGAZIN HIER.